Jenseits des klassischen Erzählbogens Persönliche Krisen können hilfreich sein, um festgefahrene Denkmuster zu hinterfragen: In den letzten zwei Jahren hat meine Gesundheit mich gelehrt, dass nicht jede Geschichte eine Heldenreise ist. Meine Gesundheit mäanderte mal vor sich hin, explodierte dann wieder plötzlich und bewegte sich in Spiralen – mal aufwärts, mal abwärts. Mit der Heldenreise hatte das recht wenig zu tun. Und ich glaube damit geht es nicht nur mir so.
Jenseits des klassischen Erzählbogens
In den letzten Jahren hat sich immer mehr (gerechtfertigte) Kritik an der Lieblingserzählform des Westens geregt: die Heldenreise. Diese Struktur – geprägt durch Joseph Campbell und später Christopher Vogler – dominiert unsere Filme, Romane und sogar die Art, wie wir über persönliche Entwicklung sprechen.
Aber passt diese Struktur wirklich zu unseren tatsächlichen Erfahrungen? Jane Alison stellt in ihrem bahnbrechenden Buch „Meander, Spiral, Explode“ genau diese Frage: „Würde es nicht Sinn machen, wenn die Form unserer Erfahrungen organisch wäre?“, was ich im Anfang April im Krankenhaus fertig gelesen habe.
Natürliche Muster statt künstlicher Bögen:
Unser Leben ist durchdrungen von organischen Formen, Konturen und Rhythmen. Jane Alison zeigt uns, dass Muster jenseits des Erzählbogens überall zu finden sind. Sie nennt sie „die Lieblinge der Natur“:
- SPIRALE: Eine Farnspitze, ein Strudel, ein Hurrikan, die gewundenen Hörner eines Widders oder ein Nautilus. Die Spirale beginnt an einem Punkt und bewegt sich stetig um ihre Achse, zieht uns tiefer und tiefer in einen Gedankenstrudel, bis wir bewusst ausbrechen müssen.
- MÄANDER: Ein Fluss, der sich krümmt und windet, eine Schlange in Bewegung, die Silberspur einer Schnecke. Der Weg ist das Ziel in dieser Art der Erzählung. Umwege sind erlaubt und erwünscht und führen zu einem Mehr an Schönheit.
- EXPLOSION: Ein Wasserspritzer, Blütenblätter, die aus dem Herzen eines Gänseblümchens wachsen, Licht, das von der Sonne ausstrahlt. Narrative mit diesem Muster haben einen kraftvollen Kern, der alles andere in seiner Gravitationskraft hält, während Energie nach außen strahlt.
- FRAKTAL: Selbstreplikation in kleinerem Maßstab, wie bei Bäumen, Küstenlinien, Wolken. Die faszinierenden Geschichten mit fraktalen Strukturen beginnen mit einem „Samen“, der sich in immer neue, selbstähnliche Muster vervielfältigt.
- ZELLULAR: Sich wiederholende Formen wie in einer Honigwabe, Schaumbildung, ausgetrockneter Seeboden. In diesen Erzählstrukturen entstehen Bedeutungen durch verknüpfte Ideen, die hin und her springen – unser Gehirn erkennt die Verbindungen, ob sie explizit gemacht werden oder nicht.
Interessanterweise identifiziert Alison die Heldenreise selbst auch als eine organische Struktur – sie bezeichnet sie als „Welle“. Damit ist die Heldenreise also durchaus nicht falsch oder unnatürlich. Sie ist lediglich eine von vielen Möglichkeiten und nicht die eine Struktur, in die sich jede Geschichte zwangsläufig einfügen muss. Das Problem liegt vielmehr in unserer kulturellen Fixierung auf diese eine Form und der Vernachlässigung aller anderen natürlichen Muster.
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Wie Du organische Erzählformen nutzen kannst:
- Erkenne die natürliche Form Deiner Geschichte: Welche organische Struktur passt am besten zu Deinem Thema und Deinen Charakteren?
- Befreie Dich vom Druck der drei Akte: Nicht jede Geschichte muss einen klassischen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben.
- Experimentiere mit Zeit und Raum: Organische Formen erlauben es Dir, mit nichtlinearen Zeitabläufen zu spielen.
- Schätze das Detail: In Spiralen und Fraktalen wiederholen sich Elemente in verschiedenen Maßstäben – nutze diese Eigenschaft für Wiederholungen mit Variationen.
Die Fixierung auf die Heldenreise reflektiert auch einen weiteren Fehlschluss: dass wir Herausforderungen als einsame Held*innen erleben und meistern. Die Realität sieht ganz anders aus. Als soziale Wesen navigieren wir durch unsere Erfahrungen fast immer im Kontext von Gemeinschaften – mit Familie, Freund*innen, Kolleg*innen und Netzwerken, die uns unterstützen, herausfordern und begleiten.
Das Leben folgt keiner einzigen Struktur
Das Leben selbst hält sich selten an eine einzige narrative Struktur. Manchmal mäandert es, manchmal explodiert es, und manchmal bewegt es sich in Spiralen. Und das ist doch auch gut so, oder?
Indem wir organischere Formen des Erzählens erkunden, öffnen wir die Tür zu einer reicheren, nuancierteren Art, unsere menschlichen Erfahrungen zu verstehen und zu teilen.
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